„Ich bin entsetzt“, sagt die Mutter der JUNGEN FREIHEIT. Und die
Stimme der Frau zittert vor Empörung: „Das ist so eine heftige, mit
Verlaub, Stasischeiße, ich hätte das in meinem ganzen Leben nicht für
möglich gehalten, was meiner Tochter hier angetan wurde.“ Ihre Tochter,
wir nennen sie Miriam, ist 16 Jahre alt. Sie ist Schülerin des
Richard-Wossidlo-Gymnasiums in Ribnitz-Damgarten in
Mecklenburg-Vorpommern. Wir haben die Personen anonymisiert, um sie zu
schützen – die Frage ist nur: Vor wem?
Rückblick: 27. Februar. Während Miriam morgens in der Schule sitzt
und büffelt, greift Schuldirektor Jan-Dirk Zimmermann zum Telefon.
„Gegen 09:45 Uhr informierte der Schulleiter die Polizei über einen
möglicherweise strafrechtlichen Sachverhalt“, erklärt Marcel Opitz, der
Pressesprecher der zuständigen Polizeiinspektion Stralsund, der JF den
Ablauf des Geschehens. „Demnach lägen Informationen vor, wonach eine
17jährige Schülerin mutmaßlich verfassungsfeindliche Inhalte in sozialen
Netzwerken verbreitet haben könnte. Es wurde ein Funkwagen zur Schule
entsandt, um diesen Sachverhalt zu prüfen.“
In der Streife sitzen drei Polizeibeamte („aufgrund einer ungeraden
Anzahl Beamter in der Frühschicht“), heißt es in der Antwort-Mail der
Polizei auf den Fragenkatalog dieser Zeitung. Sie fahren zum
Richard-Wossidlo-Gymnasium in Ribnitz-Damgarten. Die Beamten nehmen den
Sachverhalt auf, doch „ein Anfangsverdacht einer Straftat konnte mithin
nicht festgestellt werden“, sagt Pressesprecher Opitz.
SPD-nahe Stiftung präsentiert sich in der Schule
Was war denn nun der Grund für diesen Anruf des Direktors bei der
Polizei? „Meine Tochter“, sagt die Mutter, „hatte vor einigen Monaten
auf TikTok ein Schlümpfe-Video gepostet. Da heißt es, daß die Schlümpfe
und Deutschland etwas gemeinsam haben: Die Schlümpfe sind blau und
Deutschland auch. Das war wohl ein witziger AfD-Werbe-Post. Und dann hat
sie einmal gepostet, daß Deutschland kein Ort, sondern Heimat ist.“
Vielleicht war Schuldirektor Zimmermann in dieser Zeit auch ganz
beseelt von der Nazijagd unter seinen Schülern? Immerhin war aktuell, so
schrieb er noch am 29. Februar 2024 auf der Internetseite des
Gymnasiums, eine Ausstellung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zum
Thema „Demokratie stärken“ in der Schulaula zu sehen. „Am 23. Februar
fand die Eröffnung in Anwesenheit eines Vertreters der
Friedrich-Ebert-Stiftung MV, des Bürgermeisters der Stadt
Ribnitz-Damgarten und Vertretern der Bürgerschaft statt“, bemerkt der
Direktor, wie es scheint nicht ohne Stolz so viele Honoratioren in
empfangen zu haben.
„Alle Anwesenden betonten, daß ein zunehmend dominanter
Rechtsextremismus die Debattenkultur auch in unserem Raum erschwert und
die demokratische Grundordnung willentlich gefährdet.“ Da muß ein
deutscher Pädagoge natürlich gegenhalten – und da ist ein Anruf bei der
Polizei ja wohl das Mindeste, wenn es um den Begriff Heimat und blaue
Schlümpfe geht.
Drei Polizisten im Klassenzimmer
Die Hüter des Gesetzes machen sich also auf zum Chemieraum, denn dort
wird gerade Miriam unterrichtet. „Meine Tochter erzählte mir später,
daß die drei Polizisten plötzlich im Raum standen und sie abholten. Das
ist das, was mich so unfaßbar wütend gemacht hat.“ Die Mutter schildert
weiter, daß ihre Tochter von den Beamten eskortiert wurde. „Als ob sie
eine Verbrecherin sei. Durch die ganze Schule hindurch. Da sind über 500
Schüler drauf. Es ist unglaublich. Und dann ging es das ganze
Schulgebäude hindurch zum Lehrerzimmer.“
Dort angekommen, ist noch der Schulsekretär anwesend. „Und dann
sagten die Polizisten zu meiner Tochter, daß zu ihrem eigenen Schutz die
Beamten sie darum bitten möchten, solche Posts in Zukunft zu
unterlassen. Die wußten also vorher, was meine Tochter gepostet hatte,
sie wußten, daß es nicht strafbar war und trotzdem dieser Aufmarsch,
diese Drohungen, diese Unterdrückungen der Meinungsfreiheit.“
„Zum Glück hat meine Tochter einen starken Charakter“
Miriam erzählt zu Hause alles der Mutter. „Zum Glück hat meine
Tochter einen starken Charakter. Sie wurde schon einmal von einer
Lehrerin, die mit einem Türken verheiratet ist, angesprochen. Das könne
doch nicht wahr sein, daß meine Tochter AfD wählen würde, ob sie wolle,
daß ihr Mann und ihre Kinder zurück in die Türkei müßten?“ Bei Miriams
Mutter ist nun die Schmerzgrenze erreicht.
„Ich rief in der Schule beim Direktor an. Ich sagte, ‘Herr
Zimmermann, wenn Sie meinen, daß mit meiner Tochter etwas nicht stimmt,
reden Sie erst mit mir!‘ Da sagte der Direktor zu mir, daß er das nicht
dürfe, er habe die Auflage, sofort die Polizei zu informieren.“
Plötzlich geht es um Volksverhetzung
Die JF fragte bei der Polizei nach, wie man solch ein „Gespräch“
zwischen Polizisten und Jugendlichen eigentlich bezeichnet und was man
ihr jetzt konkret vorwirft. „Nach der Feststellung, daß nach
vorliegenden Informationen kein strafrechtlicher Sachverhalt vorzuliegen
scheint, wurde mit der Schülerin eine Art „Gefährderansprache“, hier
ein normenverdeutlichendes Gespräch gemäß Paragraph 13 SOG M-V geführt“,
so Polizeisprecher Opitz, „um letztlich auch aufzuzeigen, daß es
Straftatbestände wie § 86a StGB und andere gibt“.
Das muß man übersetzen: Das „SOG M-V“ ist das Sicherheits- und Ordnungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern. Paragraph 13
definiert die Allgemeinen Befugnisse: „Die Ordnungsbehörden und die
Polizei haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem
Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder
dem Einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit
oder Ordnung bedroht wird.“
Polizei: Dem Mädchen ist nichts vorzuwerfen
Aber was wurde denn nun dem Mädchen vorgeworfen? „Letztlich nichts“,
so Polizeisprecher Opitz, um dann aber doch zwei scharfe Klingen des
Strafrechts zu nennen: „Gemäß Legalitätsprinzip galt es den Sachverhalt
zu erforschen. Am ehesten in Betracht gekommen wäre ein möglicher
Verstoß gemäß § 86a oder § 130 StGB.“ Paragraph 86a Strafgesetzbuch
bezeichnet das Zeigen verfassungsfeindlicher oder terroristischer
Kennzeichen, zum Beispiel Hakenkreuze, Deutscher Gruß, diverse Runen
oder Tattoos mit Mottos wie Blut und Ehre oder ähnliches. Paragraph 130 Strafgesetzbuch stellt Volksverhetzung unter Strafe, zum Beispiel den Haß- und Gewaltaufruf gegen ethnische Gruppen.
Was nun blaue Schlümpfe und der Begriff Heimat mit diesen
Straftatbeständen zu tun haben sollen, sei dahingestellt. Miriam hat
sich, so die Beamten, nicht strafbar gemacht. Allerdings steht sie jetzt
in einem Polizeicomputersystem. Denn die Landespolizei
Mecklenburg-Vorpommern benutzt den Elektronischen Vorgangsassistenten
zur Erfassung und Dokumentation von Sachverhalten.
Ministerien ducken sich weg
Polizeisprecher Opitz bestätigt gegenüber dieser Zeitung, daß
relevante Daten, auch Personendaten, eingepflegt werden, nach
entsprechenden Löschfristen anonymisiert werden „und im Weiteren
gelöscht – so auch in diesem Fall“. Im Übrigen ist die Polizei sich
sicher, daß die Beamten mit dem Mädchen ohne dessen Eltern und/oder ohne
Rechtsbeistand sprechen durften.
Abschließend weist die Polizei diese Zeitung noch auf Folgendes hin:
„Falls Sie beabsichtigen, über den Sachverhalt zu berichten, möchte ich
abschließend auf das schutzbedürftige Alter des Mädchens hinweisen und
bitte, diesen Umstand zu berücksichtigen (Pressekodex).“ Das
schutzbedürftige Alter des unschuldigen Mädchens schien während des
Spießrutenlaufes durch die Schule allerdings keine besondere Priorität
der Beamten gewesen sein.
Der Direktor schweigt
Die JUNGE FREIHEIT schickte dem Innen- und Bildungsministerium in
Mecklenburg-Vorpommern jeweils einen umfangreichen Fragenkatalog. Beide
Häuser verwiesen auf die Polizei. Wobei Henning Lipski, Pressesprecher
des Bildungsministeriums, behauptete: „Ein schulpsychologischer
Unterstützungsbedarf bestand zu keiner Zeit.“ Wie er das vom
Schreibtisch aus beurteilen will, bleibt unklar. Ein Teil von Miriams
Klassenkameraden sah das wohl anders. „Im Nachgang sind ein paar Schüler
zu meiner Tochter gekommen und haben sie getröstet“, sagt Miriams
Mutter.
Auch die Schule und Direktor Zimmermann wollen sich nicht äußern.
Warum er die Polizei rief, warum er nicht erst den Kontakt mit den
Eltern suchte, warum das Mädchens während des laufenden Unterrichts aus
dem Klassenraum geholt wird. All das will er auch am Telefon nicht sagen
– weil er nichts sagen dürfte. Sollte hier ein politisches Exempel
statuiert werden?
AfD holt das Thema in den Landtag
Der bildungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Landtag von
Mecklenburg-Vorpommern, Enrico Schult, selbst Vater zweier
schulpflichtiger Kinder, wird diesen Vorfall zum Anlaß nehmen, um ihn im
Plenum des Landtags zu debattieren.
Der JF sagt er: „Dieser skandalöse Vorgang offenbart, daß unsere
Schulen immer mehr zur Gesinnungsschnüffelei benutzt werden sollen.
Sofern es dazu tatsächlich eine Anordnung des Bildungsministeriums gab,
muß das dort politische Konsequenzen haben. Denn ein Schulleiter sollte
sich eher vor seine Schüler stellen und mindestens zuerst die Eltern ins
Vertrauen ziehen, anstatt gleich drei Polizisten zu rufen, weil er eine
anonyme Denunziations-Mail über eine Schülerin erhält.“